Gläserne Plattform und besondere Beleuchtung für die Mikwe

Die Mikwe oder Mikwah – lebendiges Wasser zur rituellen Reinigung

Ganz besondere, kaum noch sichtbare Beispiele für die Vielfalt des jüdischen Lebens waren die rituellen Tauchbäder (Mikwaoth), die früher in fast jeder jüdischen Gemeinde vorhanden waren (z.B. in Trendelburg, Hofgeismar, Grebenstein, Meimbressen, Hoof, Zierenberg, Naumburg, Wolfhagen und Volkmarsen).

Die meisten dieser Anlagen wurden im Zuge der Gewalttätigkeiten während der NS-Zeit oder später durch Abriss- und Umbaumaßnahmen unwiederbringlich zerstört oder mit Beton übergossen. In Trendelburg wurde vor einigen Jahren eine sehr alte Mikwe wieder freigelegt und in Wolfhagen erinnert am Ortsausgang Richtung Schützeberg eine Tafel und ein Quellwasserbecken an das hier früher vorhandene Judenbad.

Die außergewöhnlichen Ausgrabungsergebnisse in Volkmarsen zeigen auf, dass wir bei sorgfältigem Umgang mit historischer Bausubstanz und entsprechender Forschungsarbeit auch heute noch einzigartige, völlig in Vergessenheit geratene Kulturdenkmäler wiederentdecken und der Öffentlichkeit zugänglich machen können.

Die wiederentdeckte Mikwe in Volkmarsen, ein einzigartiger Fund im Jahr 2013 Schon vor mehr als dreißig Jahren hatte sich Ernst Klein mit den noch vorhandenen mittelalterlichen Kellern und Steinwerken in Volkmarsen beschäftigt. Im Rahmen seiner langjährigen Forschungsarbeit zur Geschichte der Juden konnte er nachweisen, dass  in Volkmarsen schon viel früher als in der Fachliteratur und in der Stadtchronik angegeben einige jüdische Familien ansässig waren.

Daraus folgerte er, dass lange vor dem bekannten Bau einer Synagoge mit Mikwe in der Zeit um 1827 schon ein Betraum und eine Mikwe für die jüdische Gemeinde vorhanden gewesen sein muss.

Während seiner Nachforschungen in verschiedenen Archiven entdeckte er, dass das Haus im Steinweg 24 mit dem außergewöhnlich schönen Gewölbekeller aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts noch vor 150 Jahren der jüdischen Familie Hüneberg gehörte. Nach und nach verdichtete sich die Vermutung, dass genau hier früher vielleicht ein Versammlungsraum und auch ein Ritualbad gewesen sein könnte.

2013 erteilte die Hausbesitzerin die Genehmigung zu Probegrabungen unterhalb des Kellerbodens, Anfang Oktober 2013 begann Ernst Klein gemeinsam mit dem ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Peter Kirschbaum aus Warburg und Joachim Geritzen mit den Arbeiten.

Nach Aufnahme des in jüngerer Zeit eingebauten Steinpflasters stießen sie zunächst auf Bauschutt, Steine und aufgeschüttetes Erdreich, bis dann die Oberkante eines Gewölbes und im weiteren Verlauf ein bearbeitetes Sandsteinmauerwerk mit zwei eingearbeiteten Ablagefächern sichtbar wurden.

Alles deutete darauf hin, dass sie tatsächlich eine alte Mikwe entdeckt hatten. Nach Besichtigung des Grabungsortes durch die Herren Dr. Buchstab und Dr. Sippel vom Landesamt für Denkmalpflege wurde das Institut für Bauforschung und Dokumentation aus Marburg beauftragt, genaue Untersuchungen vorzunehmen.

In Zusammenarbeit mit den Experten konnte dann bis in 300 cm Tiefe die vollständig erhaltene überwölbte Schachtmikwe freigelegt werden. Im Tauchbecken befindet sich klares, sich ständig erneuerndes Wasser, so wie es nach den jüdischen Geboten seit altersher vorgeschrieben ist.

Im unteren, in den Felsen gehauenen Teil des Tauchbades gefundene Holzteile (vermutlich Wandverkleidungen am Beckenrand) geben nun Aufschluss über das wahrscheinliche Alter der Anlage:

Aufgrund der dendro-chronologischen Untersuchungen können wir davon ausgehen, dass das Eichen- und Buchenholz vor oder um das Jahr 1500 geschlagen wurde.

Die Bearbeitung der Sandsteine und ein Bogenportal im Kellerbereich deuten ebenfalls auf eine Zeit vor 1500 hin.

Die Gesamtanalyse der Bausubstanz zeigt: Bereits Ende des 15., spätestens aber Anfang des 16. Jahrhunderts war in Volkmarsen ein angelegtes Tauchbad als Ort der rituellen Reinigung fester Bestandteil der jüdischen Gemeinde.

Diese wiederentdeckte, in spätmittelalterlicher Bauweise errichtete Schachtmikwe ist somit etwa 500 Jahre alt, vergleichbare Anlagen sind lt. Forschungsbericht in Hessen nicht bekannt.

Noch deutlich älter ist in Hessen die Mikwe in Friedberg, die bereits 1260 erbaut wurde und wegen der Höhenlage der Stadt über viele Treppenstufen in eine Tiefe von 28 m führt.

Verfasser: Ernst Klein

Auszüge aus dem 60-seitigen Untersuchungsbericht des Freien Instituts für Bauforschung und Dokumentation e.V. in Marburg

Bauhistorische Untersuchung in Volkmarsen, Steinweg 24 Keller im Hinterhaus mit Mikwe:
… Ergebnis der Bauphase I des untersuchten Kellers:

„Es handelt sich offensichtlich um einen Bau aus der Frühphase der Stadtentwicklung. Am wahrscheinlichsten als Datum für den Bau des Kellers sind die 30er oder 40er Jahre des 13. Jahrhunderts.

… Die Gewölbe im südlichen Teil des Kellers werden von einem Rundpfeiler getragen, dessen Kapitell dreiseitig mit identischen Ornamenten aus halbkreisförmigen Schilden ausgestattet ist. Im nördlichen Teil wurde in der Bauphase II ein achteckiger Pfeiler eingebaut. Der Keller wird durch einen Kellerhals mit Rundbogenpforte in der Nordwestecke erschlossen. Der bei der Pforte verwendete Fugenschnitt entspricht Pforten, die in der 2. Hälfte des 14. und im 15. Jahrhundert entstanden sind.  Einige Bearbeitungsspuren deuten auf die Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Umbaumaßnahmen im Keller wurden wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vorgenommen. Möglicherweise steht der Umbau im Zusammenhang mit den Zerstörungen durch die Truppen des Landgrafen von Hessen im Jahr 1477. In der Bauphase III wurde in der Südwestecke des Kellers eine Mikwe eingebaut. Der Schacht der Mikwe ist mit einem segmentbogigen Tonnengewölbe mit Scheitel in Ost-West-Richtung überdeckt, dessen Oberkante in etwa auf Höhe des heutigen Fußbodens liegt.

… Das Mauerwerk besteht aus relativ flachen,  zumeist längsrechteckigen Werksteinen, die inzwischen 0,11 m und maximal 0,17 m hoch sind und akkurat lagerhaft vermauert wurden.

… Drei Steinschichten darüber liegt ein hochkant vermauerter „Nischenstein“. Es handelt sich um einen Quader von 0,35 m Höhe und 0,28 m Breite, in den eine Vertiefung von 0,27 m Höhe und 0,20 m Breite eingemeißelt ist.

… Ab dem viertelkreisformigen Vorsprung setzt sich die Südmauer der Mikwe bis zur Süd-Ost-Ecke des Schachts auf einer Länge von 1,30 m fort. Von ihrer Oberkante reicht sie zehn Steinschichten herunter bis auf Höhe einer Stufe, die gewissermaßen eine Art Schwelle zum Eingang in die Mikwe bildete. Darunter beginnt der anstehende Buntsandstein-Felsen, in den der untere Abschnitt des Schachts eingemeißelt ist. Die eigentliche Sohle des Tauchbeckens liegt dann noch einmal ca. 0,70 m tiefer. Oberhalb der Schwelle des Eingangs, direkt am vorschwingenden Teil des Mauerwerkes, ist eine weitere Nische eingebaut. Die dendro-chronologische Untersuchung einiger Hölzer aus dem Tauchbecken. Zwecks dendro-chronologischer Datierung der aus der Verfüllung des Tauchbeckens geborgenen Hölzer wurden insgesamt fünf Objekte ausgewählt, die möglicherweise Reste der Verkleidung des Tauchbeckens sind, wie zum Beispiel drei ausgewählte Brettchen von 16 cm Breite mit beidseitiger Kantenprofilierung, Nuten und Zapfen. Das Ergebnis ist durchaus verblüffend:  Sämtliche der untersuchten und datierten Hölzer hatten ihre Wachstumsphase in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert. Der letzte erhaltene Jahresring der Probe 3 datiert auf 1449. Das frühestmögliche Fälljahr ist somit 1465 + 10/-7.

Bauphase III – Der Einbau der Mikwe in der frühen Neuzeit
Als zukünftigen Platz für die Mikwe hatten sich deren Erbauer die Süd-West-Ecke des Kellers ausgesucht. Das Tauchbecken der Mikwe ist zwar nicht sonderlich groß, mit einem Volumen von (je nach Grundwasserstand) 800-1000 l entspricht es jedoch den rituellen Bestimmungen für eine funktionsfähige Grundwasser-Mikwe.

Auch wenn diese Mikwe vergleichsweise klein ist, scheint sie dennoch im weitesten Sinne in ihrem architektonischen Typus an die hoch- und spätmittelalterlichen Schacht-Mikwen anzuknüpfen. Auch den monumentalen Mikwen im Rheinland, allen voran Worms, Speyer und Köln, ist gemeinsam, dass sie einen gewölbten Schacht oberhalb des Tauchbeckens haben. Schaut man sich in Hessen nach Vergleichsbeispielen um, so wird man nicht fündig.

Alle älteren Mikwen, die in das 17. oder 18. Jahrhundert datiert werden, haben keine Schächte, sondern sind so genannte Keller-Mikwen.

Verfasser: Elmar Altwasser / Mathias Kornitzky